Im Dezember 2011 gab der Förderverein der Schule eine Broschüre heraus, in dem das Schulleitungsteam alle Argumente für den eingeschlagenen Entwicklungspfad kompakt zusammenstellte. Im Zentrum des Aufbaus der Paula stand und steht die Überlegung, dass Vielfalt die Lösung und nicht das Problem ist. Das Kernstück des pädagogischen Gesamtkonzepts der Paula ist daher die Entscheidung für die jahrgangsübergreifenden Arbeitsweise.
Homogenität von Klassenverbänden ist eine Fiktion
Ausgangspunkt unserer Überlegungen war und ist, dass die Vorstellung von Homogenität in Jahrgangsklassen eine Fiktion ist, die nicht der Realität entspricht. Alter, Intelligenz, Vorwissen, kulturelle Herkunft, Aktivierbarkeit usw. machen auch vermeintlich homogene Klassen zu einem Gemisch sich vielfältig unterscheidender Menschen. Die Einführung von jahrgangsübergreifenden Klassen trägt der Lebenswirklichkeit nur verstärkt Rechnung und fordert die Lehrkräfte auf, in ihrer Praxis bewusster mit dieser Realität umzugehen.
Heterogenität als Ressource und Chance nutzen
Es ist unser Ziel, die durch die Jahrgangsmischung gewachsene Heterogenität in verschiedener Weise als Ressource zu nutzen.
a) Wir wollen auf diesem Weg die Festschreibung von Rollen erschweren. In einem jahrgangsübergreifend arbeitenden Klassenverband muss auch die / der „beste“ Schüler/in, zumindest in der Anfangszeit, mal Hilfe annehmen. Selbst sehr leistungsschwache Mitglieder der Klassengemeinschaft werden nicht immer Objekte von Hilfeleistungen sein müssen, es wird Stellen geben, wo sie selber unterstützend tätig sein können.
b) Für eine inklusive Schule ist es konstituierend, dass Verschiedenheit Normalität ist. Gerade in der jahrgangsgemischten Klasse ist die Schaffung dieser Haltung, die gleichzeitig eine Gelingensbedingung für Inklusion ist, viel leichter herstellbar: Allein schon durch die unterschiedlichen Lernjahre ist es normal, dass jeder nach seinem persönlichen Leistungsvermögen arbeitet.
c) Da von Anfang an die Leistungsdifferenzen innerhalb der Klasse bekannt und aufgrund der unterschiedlichen Lernjahre unbestreitbar sind, gibt es keine konkurrierende Vergleichbarkeit auf der Ebene des Lernstoffs unter den Schülerinnen und Schülern. Gleichzeitig sagt die Zugehörigkeit zu einem Lernjahr nichts über das persönliche Leistungsvermögen aus. Das soll jedoch der Ansatzpunkt unserer inklusiven Arbeit sein, um jedes Kind und jeden Jugendlichen zum persönlich größtmöglichen Lernfortschritt zu befähigen.
d) Der Aufbau von jahrgangsübergreifenden Klassenverbänden erfordert eine Zeit des Übergangs. Erst nach ihrer Etablierung ergeben sich bisher nicht vorhandene Möglichkeiten des Modelllernens. Dies kann sich z.B. auf die beschleunigte Einführung von Verfahren, Regeln, Ritualen beziehen, da immer eine Kerngruppe vorhanden ist. Ist der jahrgangsübergreifende Klassenverband erst einmal eingeführt, so ermöglicht der über drei Lernjahre verbundene Klassenverband ein bewusstes Erleben und eine gute Nachvollziehbarkeit der bevorstehenden bzw. der vollzogenen eigenen Entwicklung. Insbesondere für das „Haus der Jugend“ erwarten wir uns von diesem Aspekt jahrgangsübergreifenden Arbeitens starke Effekte auf die Zukunftsorientierung der Jugendlichen.
Andere Organisation des Lernprozesses führt zu zusätzlichem Nutzen
a) Sowohl die Lernzeitverkürzung als auch eine Verlängerung der Lernzeit ist in der traditionellen Jahrgangsschule immer mit dem Wechsel des Klassenverbandes verbunden. Nach unseren Beobachtungen in den früheren Jahren ist gerade der Verlust des gewohnten Klassenverbandes ein Element gewesen, das leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler vom Vorrücken abgehalten hat. Dies ist in der jahrgangsgemischten Klasse anders, da immer ein Teil der bekannten Schülerinnen und Schüler mit geht bzw. bleibt.
b) Die Sekundarstufe I ist geprägt durch die Adoleszenz. Sich selbst finden ist ein zentrales Element, das je nach Alter und Jahrgangsstufe unterschiedliche Ausprägungen und Bedeutung hat. Auch hier wirkt die Erhöhung der Heterogenität, in dem sie aktiv junge Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen bringt und damit eher die Lebenswirklichkeit abbildet. Pubertäre Krisen sind immer nur Probleme eines Teils der Schülerschaft einer Klasse und die sozialen Beziehungen zu unterschiedlich alten Klassenkameraden tragen so zur Förderung von sozialen Verhalten und kooperativen Einstellungen bei.
c) Insbesondere im „Haus der Jugend“ ist das Leben der ältesten Schülerinnen und Schüler durch die große Nähe des Schulabschlusses geprägt. Dies werden wir nutzen, um den jüngeren Mitgliedern der Klassengemeinschaft die Bedeutung der schulischen Arbeit und ihre Bedeutung für die Zeit nach der Schule besser vermitteln zu können. Es ist begründet zu erwarten, dass in diesem Kontext Praktika und berufsorientierende Maßnahmen einen deutlich größeren Nutzen erfahren werden.
d) Die Paula-Modersohn-Schule hat für die Einteilung der jahrgangsgemischten Klassen in Gruppen von jeweils drei Jahrgängen entschieden. Dem liegt die Überzeugung zu Grunde, dass diese Mischung: „ein Jahr kommen, ein Jahr stehen, ein Jahr gehen“ bei einer sich über sechs Lernjahre erstreckenden Schulstufe die optimale Variante ist. Bei einer zweijährigen Mischung ist immer eine zur Unruhe führende Zweiteilung von Aufbruch und Weggang vorhanden. Eine andere Variante (4 Jahre und 2 Jahre) würde dazu führen, dass die Klassenverbände den großen persönlichen Entwicklungsschritten, die diese Altersgruppe prägen, nicht gerecht werden können.
e) Durch die Organisation der Klassen in „Säulen“ entstehen organisatorisch gut handhabbare Einheiten. Dies ermöglicht u.a. eine bessere Ausnutzung von Ressourcen, da in diesem Kontext für jede Säule die Klassenräume gleichzeitig zu gemeinschaftlich genutzten Fachräumen für die Kernfächer weiterentwickelt werden. Somit kann das in großer Vielfalt erforderliche Unterrichtsmaterial in besonders hoher Qualität und bei geringerem Mitteleinsatz vorgehalten werden, denn es braucht nur einen Materialsatz pro Kernfach für jeweils drei Klassenverbände.
Jahrgangsgemischtes Arbeiten verändert die Arbeit der Lehrkräfte
a) Der Umgang mit Heterogenität ist für Lehrkräfte nicht einfach zu erlernen. Immer wieder ist ein „Trend zum Mittelwert“ zu beobachten. Bei vielen Reformbemühungen früherer Jahre konnte man nach einer gewissen Zeit einen Prozess der „Sich-selbst-Verähnlichung“ beobachten, bei dem eingeleitete Veränderungen früheren Traditionen wieder angepasst wurden. Durch die Jahrgangsmischung wird eine innere Dynamik in der Schulentwicklung erzeugt, die dem entgegenwirkt. Die Heterogenität der jeweiligen Lerngruppe ist ganz offensichtlich, allen bewusst und erzwingt andere Denkweisen.
b) In der traditionellen Paula haben die Klassenlehrkräfte ihre Klassen über 6 Lernjahre begleitet. Viele Aspekte des Unterrichts wurden von ihnen alleine verantwortet, bestimmte Unterrichtseinheiten wurden z.T. nur in langen Abständen erteilt. Durch die Arbeit in den jeweiligen Häusern wächst die Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften. Positive Effekte der gemeinschaftlichen Unterrichtsentwicklung können so zu einem deutlichen Qualitätsverbesserungsprozess in der Lehre beitragen.